Windpark Utgast/Gemeinde Holtgast: Wie ein Dorf unter die Windräder geraten ist

Schon vor 20 Jahren: Protestplakat gegen den Windpark Utgast und die Zerstörung der ostfriesischen Landschaft (1994)

Von Manfred Knake, Bürger von Holtgast

Am 09. Dezember 2014 fand eine bemerkenswerte Ratssitzung in Holtgast unter der Leitung von Bürgermeister Enno Ihnen statt, es war wieder mal ein Paradebeispiel der Intransparenz und Bürgerferne der sog. „kommunalen Selbstverwaltung“. Angekündigt wurde die Sitzung in einer Bekanntmachung in der Lokalpresse vier Tage vorher am 06. Dezember, dazwischen lag ein Wochenende. Ein Tagesordnungspunkt, vage formuliert, „verschiedene Anträge nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) zur Errichtung von Windenergieanlagen im Windpark Utgast…“. Genauere Hinweise fehlten. Tatsächlich ging es um das gemeindliche Einvernehmen für sieben weitere neue Windkraftanlagen vom Typ Enercon 70 mit je einer Nennleistung von 2,3 Megawatt und einer Gesamthöhe von fast 100 m für verschiedene Betreibergesellschaften im Windpark. Die Anträge wurden in Windeseile durchgewunken (diesmal schon mit 2 bzw. 3 Enthaltungen bei 8 bzw. 7 Stimmen, aber immer noch keine Nein-Stimmen!). Eine Ratsfrau, die selbst -und ihre Familienmitglieder- an einer Windpark-Betreibergesellschaft in Utgast beteiligt ist, nahm an der Ratssitzung nicht teil. Nun sollen 10 alte und ohnehin abgängige Anlagen des Typs Tacke TW-600 mit einer Nennleistung von 0,6 Megawatt und ca. 74 m Gesamthöhe abgebaut werden. Das hat mit einem echten „Repowering“ nichts zu tun. Es ist nur eine Modernisierung des Anlagenparks für weitere 20 Jahre mit der Subventionsabgreifung aus dem Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) für die jeweiligen Betreibergesellschaften.

„Unser Dorf muss schöner werden!“: Fulkum, Gemeinde Holtgast, mit dem Windpark Utgast

Unmutsäußerungen der Zuhörer

Aus der Zuhörerschaft kamen erhebliche Unmutsäußerung, sehr laut oder auch leise vorgetragen: „Man bekommt hier ja das Kotzen“, „Es ist jetzt schon viel zu laut mit den Windmühlen“, „auch mal an die Anwohner denken“, „jetzt eine Bürgerinitiative gründen“, „es geht nur ums Geld“, „wie in der Volkskammer“, oder: „Da fehlt ein Erich-Bild an der Wand“…

In den Wind gesprochen

Beim vorangegangenen Tagesordnungspunkt „Einwohnerfragestunde“, die von Bürgermeister Ihnen, als es zu unruhig wurde, abgewürgt wurde, hatte ich Gelegenheit, den naturschutzfachlichen Aspekt vorzutragen, noch in Unkenntnis darüber, dass über weitere sieben Anlagen Enercon-70 abgestimmt werden sollte. Das ging so, wie gesagt, aus der nur vier Tage vorher veröffentlichten Tagesordnung nicht hervor.

Das Folgende trug ich sinngemäß vor dem Rat bei der „Einwohnerfragestunde“ unter Bezugnahme auf zwei vorangegangene Mails an den Landrat Köring, Bürgermeister Ihnen und einige Ratsmitglieder vor: Hier geht es nicht um ausschließlich um die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, also die Einhaltung der Lärmkontingente (die längst überschritten werden) , sondern auch um eine FFH-Verträglichkeitsprüfung nach § 34 Bundesnaturschutzgesetz (FFH-VP), und die liegt nur als völlig unzureichender „Umweltbericht“ des Planungsbüros Thalen Consult aus Neuenburg vor. Die neuen E-70 (schon in Betrieb befindliche oder geplante) Anlagen stehen z.T. sehr dicht am Vogelschutzgebiet V63, grob geschätzt nach ausgehängter Kartendarstellung nur bis zu ca. 250 m. Durch die höhere Bauhöhe – ein Viertel Höher als die alten Tacke-Anlagen – werden diese Anlagen sehr weit in das Vogelschutzgebiet hineinwirken, die naturschutzfachlichen Empfehlungen aus der Arbeitshilfe des Niedersächsischen Landkreistages (NLT_Arbeitshilfe) von 1200 m Abstand zu Vogelschutzgebieten und der notwendige Untersuchungsbedarf werden eklatant missachtet. Eine vorhabensbezogene Verträglichkeitsprüfung für die neuen Anlagen mit der Bewertung der Eingriffsfolgen für Vögel und Fledermäuse liegt aber gar nicht vor, der nach den Natura-2000-Richtlinien geforderte günstige Erhaltungszustand mit dem Verschlechterungsverbot des angrenzenden EU-Vogelschutzgebietes ist daher gefährdet.

„Repowerte“ Enercon-70 im Windpark Utgast, 2013

Meine Erläuterungen vor dem Rat von Holtgast hätte ich mir zudem sparen können. Es war wohl zu kompliziert, aber dennoch wurde später über das, was man nicht durchschaut und daher nicht versteht, abgestimmt. Ein Ratsherr (ein SPD-Mitglied, in Holtgast für die „Bürgerstimme für die Gemeinde Holtgast“ gewählt!) sagte mir anschließend, er habe meine vorher schriftlich gemailten Bedenken zwar zu lesen begonnen, dann aber weggelegt, und er verbäte sich zudem „Belehrungen“ von mir….Auch bemerkenswert: Bürgermeister Enno Ihnen (CDU-Mitglied, in Holtgast „Freie Wähler Holtgast“) ist auch Vorsitzender des Bauausschusses der Samtgemeinde Esens, zu der die Gemeinde Holtgast gehört. Das Baugesetzbuch und das Bundesnaturschutzgesetz müssten eigentlich zu seinem Handwerkszeug gehören wie zu einem Tischler die Säge.

Aus 22 werden 16, aber viel größere Anlagen

Bei nähere Betrachtungsweise geht es aber gar nicht nur um sieben neue Anlagen: Seit 2011 nach Änderung des B-Planes sind (oder sollen noch)  22 Altanlagen abgebaut und 16 neue Anlagen errichtet bzw. genehmigt werden (Stand 08.12.2014, siehe Tabelle .pdf Windpark_Utgast_Repowering_ab_2011). Das Vogelschutzgebiet besteht seit 2006, und das hat man bei der Planung und Genehmigung einfach „übersehen“, das ist der Skandal! Die neuen E-70 haben fast je Anlage die vierfache Leistung (2.3 MW) statt der abgebauten und ohnehin abgängigen Tacke TW-600 (0,600 MW) , man hätte rund also 1:4 repowern können: rund vier Anlagen entfernen, dafür eine Anlage neu für vier Altanlagen. Das hieße leistungsbezogen nur rund sechs neue Anlagen für die abgebauten 22 Altanlagen! Auch vor 2011 wurden schon einige Enercon-70-Anlagen im Windpark neu gebaut. Bereits am 29. Juni 2009 wurden fünf Enercon-70 genehmigt. Hierbei handelte es sich um eine Einzelanlage ohne Abbau von Bestands-WEA (!) und um vier Repoweringanlagen, für die drei von fünf  WEA „AN-Bonus-Windenergie“ mit jeweils bescheidenen 450 kW (0,465 MW) abgebaut wurden. Eine E-70 hat also ca. die fünffache Nennleistung der AN-Bonus-Anlage! Es geht also gar nicht ehrlich um das Repowering, sondern um den weitgehenden Ersatz der Altanlagen für das weitere angenehme Klima auf den Betreiberkonten.

Verfehlte Planungen schon 1995

Der Windpark hätte zudem 1995 im damaligen IBA-Gebiet (Important Bird Area, Special Protectes Area) und am direkt angrenzenden Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer nie gebaut werden dürfen, auch damals wurden keine vorhabensbezogenen faunistischen Daten erhoben und die Gemeinde von der Herstellerfirma Tacke zudem mit einer „Vereinbarung“ über 500.000 DM geschmiert (Vereinbarung_Tacke_Gemeinde_Holtgast_WKA_1994), wenn die Gemeinde sich für die „behördliche Genehmigung“ einsetze. Dieser strafrechtlich relevante Bestechungsversuch führte damals zu staatsanwaltlichen Ermittlungen und wurde schließlich ganz bequem in eine Schenkung umgewandelt. Gezahlt hat Tacke aber nur 350.000 DM. Ein damaliger Unterzeichner sitzt heute noch im Rat….

Wo ist die Verträglichkeitsprüfung?

Durch den Abbau der Altanlagen im Windpark Utgast erlöschen die alten baurechtlichen Zulassungen. Es liegt also nahe, dass für die neuen Anlagen bei der nun erforderlichen völlig neuen Baugenehmigung der seit 2006 geltenden Natura-2000-Richtlinien für das Vogelschutzgebiet V63, das Bundesnaturschutzgesetz (§34 FFH-VP und §44 Störungs- und Tötungsverbot) und der § 1 des Baugesetzbuches (Absatz 7b, Beachtung der Erhaltungsziele der Natura-2000-Gebiete) zu beachten sind. Der alte Flächennutzungsplan mit seinem neuen B-Plan aus 2011 setzt diese rechtlichen Vorgaben nicht außer Kraft! Dies wurde mir von verschiedenen Fachleuten außerhalb der Region auf Nachfrage im Detail bestätigt. Mit einer Genehmigung nach Bundesimmissionsschutzgesetz hat das alles nichts zu tun.

Enercon-Gründer Alois Wobben: „Skandal-Windpark“

Es ist für mich unverständlich, dass nach dem Desaster der gerichtlich festgestellten illegalen Umgehungsstraße Bensersiel im „faktischen Vogelschutzgebiet“ nun erneut am Beispiel des Windparks Utgast nationale und EU-rechtliche Naturschutzvorgaben ignoriert werden und man im Landkreis daraus keine Lehren ziehen will. Die Kommunalaufsicht hat m.E. wieder einmal versagt und besteht nur aus einer Kommunalnachsicht! Es fehlt ein Kläger oder Klägerin gegen diese Beschlüsse. Bebauungspläne einer Kommune setzen weder Bundesrecht noch Europarecht außer Kraft. Der Landkreis kann die Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz immer noch versagen, müsste sich dann aber mit den Investoren und deren Anwälten anlegen. Enercon-Gründer Alois Wobben äußerte sich schon einmal in der Presse zum Windpark Utgast, als dort 1995 die Anlagen des Konkurrenten Tacke errichtet wurden, die jetzt abgängig sind: „Dieser Windpark sei ´ein Skandal´ und ein ´furchtbarer Eingriff in die Natur´“ (Anzeiger für Harlingerland/Wittmund, 18. Februar 1997: „Enercon-Chef: Windpark Utgast ist ein Skandal“). Nun wird dieser „Skandal-Windpark“ sukzessive durch Enercon-Anlagen ersetzt, wer hätte das gedacht!

Kleine Skandalchronik:

1995: Mehr als 300 Unterschriften werden von Anwohnern gegen den geplanten Windpark gesammelt, in dem insgesamt 50 Anlagen „AN-Bonus“ und „Tacke TW-600“ gebaut werden sollen. Das Raumordnungsverfahren der Bezirksregierung Weser-Ems wird abgebrochen und durch eine schlichte Flächennutzungsplanänderung auf Gemeindeebene ersetzt.
1995: Bürgermeister Freese, der stellv. Bürgermeister Frerichs der Gemeinde Holtgast unterzeichnen mit Markus Tacke jun. einen Vertrag, in dem sich die Herstellerfirma Tacke verpflichtet, der Gemeinde 500.000 DM zu zahlen. Im Gegenzug verpflichtet sich die Gemeinde „alles zu tun, dass die Windenergieanlagen behördlich genehmigt werden.“
Die Bezirksregierung Weser-Ems erklärt diesen Vertrag nach staatsanwaltlichen Ermittlungen für rechtsunwirksam und regt eine „Schenkung“ an, die dann auch (in geringerer Höhe als vereinbart) so erfolgt.

1996 entdecken Anwohner, dass in den ca. 10km langen Straßenkoffer, der eigens für die Befahrung des Windenergiegeländes gebaut werden muss, die stillgelegte Mülldeponie eines Nachbarortes eingebracht wurde. Hierbei gelangten auch in erheblichem Umfang nicht deponiefähige Stoffe in den Boden.

Das Planungsbüro „versäumte“ es, die gesetzlich vorgeschriebene Eingriffsregelung, d.h. auch die Flächenbeurteilung nach maturschutzfachlichen anerkannten Kriterien abzuarbeiten. Durch die Nähe zum Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer befinden sich auf der Planungsfläche großräumige Rastgebiete für Wat- und Wasservögel. Flächenbezogene faunistische Daten wurden nicht erhoben und flossen für diese Fläche nicht in die Planungsunterlagen ein. Diese fehlerhafte Planung wurde nicht von der Bezirksregierung moniert.

 

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Eine Antwort zu Windpark Utgast/Gemeinde Holtgast: Wie ein Dorf unter die Windräder geraten ist

  1. Wolfgang Zibell sagt:

    Es ist unglaublich, was hier geschildert wurde. Wenn wir Wangerländer nicht aufpassen droht uns dasselbe. Zur Zeit ist der Rat der Gemeinde Wangerland dabei, allen voran der neue Bürgermeister Herr Mühlena, neue Flächen für Windenergie im Wangerland auszuweisen. Auch hier haben alle nur das EURO Zeichen im Auge.
    Es ist zum ko..en.

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