Windenergie: Das Märchen vom 1:2 Repowering in der Samtgemeinde Esens

Samtgemeindedirektor Harald Hinrichs, SG Esens/LK Wittmund/NDS, hat auf meine Anfrage zum vorgeblichen Repowering-Konzept in der Samtgemeinde Esens „1:2“ (Abbau von zwei Altanlagen für eine neue, repowerte Anlage) vom 18. Februar 2016 geantwortet, das Bezugsschreiben weiter unten. Mein Leserbrief zur Sache wurde weder vom „Ostfriesischen Kurier“ noch vom „Anzeiger für Harlingerland“(auch nicht nach schriftlicher Erinnerung) abgedruckt. Die Öffentlichkeit wird wieder einmal hinters Licht geführt (siehe  auch: „Ein Hauch von Sizilien“)

(Zur Klarstellung: In diesem Beitrag ist unterschiedlich von „1 zu 2“  und „2 zu 1“ Repowering die Rede, gemeint ist immer der Abbau von zwei Altanlagen, die durch eine neue „repowerte“ Anlage ersetzt werden soll.)

Samtgemeinde Esens
Windenergie- und Repoweringkonzept zur 121. Flächennutzungsplanänderung, Februar 2016

[…] Die Anzahl der zulässigen Windenergieanlagen in den Konzentrationszonen wird wie folgt festgeschrieben:
– WP Holtgast – Utgast max. 42 WEA
– WP Werdum / Neuharlingersiel max. 04 WEA
– WP Stedesdorf max. 10 WEA

3. Neue Windenergieanlagen in den Konzentrationszonen für Windenergie sind ausschließlich im Rahmen von Repoweringmaßnahmen zulässig. Dabei sind neue Anlagen im Verhältnis 1:2 zu errichten bzw. eine neue Windenergieanlage ist für mindestens zwei vorhandene abzubauende Windenergieanlagen zu errichten. […]

Herr Hinrichs führt für den von mir monierten Windpark Utgast/Mitgliedsgemeinde Holtgast aus, dass erst bei einem nächsten Repowering die Vorgabe „1:2“ umgesetzt werden soll, also in der nicht näher bezeichneten Zukunft! Zitat Hinrichs: „…d.h. nach einem nächsten Repowering darf der Windpark max. 21 Anlagen oder weniger enthalten.“ Zitatende. Fakt ist aber, dass derzeit aus 53 Anlagen 42 werden sollen, das ist nicht „1:2“! Wann wird also tatsächlich „1:2“ repowert, in 20 Jahren, wenn die nun neuen Anlagen abgängig sein werden? Zu den von mir monierten völlig unzureichenden faunistischen Datenerfassungen (Vögel und Fledermäuse) vor der Neuerrichtung der Anlagen und der beharrlichen Missachtung der fachlich empfohlenen und mehrfach gerichtlich bestätigten Mindestabstände von Windkraftanlagen zu EU-Vogelschutzgebieten von 1.200m – der Windpark Utgast grenzt unmittelbar an das Vogelschutzgebiet V63 „Seemarschen Norden-Esens“ an – schreibt Herr Hinrichs lapidar: „Zukünftig werden neue Standorte einen erhöhten Abstand zum Vogelschutzgebiet aufweisen. Die Belange des Artenschutzes und der Natura 2000- Gebiete werden hierbei umfassend ermittelt und bewertet.“ Nein, nicht erst in der Zukunft, auch schon jetzt müssen diese Artenschutzbelange umfassend ermittelt werden, und ist nicht der Fall – es liegen keine vorhabensbezogenen Erfassungen vor- genau das war Gegenstand einer Fachaufsichtsbeschwerde beim Nds. Umweltministerium, die nach neun Monaten so beschieden wurde: „… sehe ich keine Möglichkeit in der Angelegenheit fachaufsichtlich tätig zu werden“.

(Nachtrag: Nach Klageandrohung und Hinweis auf das Umweltinformationsgesetz erhielt ich dann endlich nach neun Monaten die fachliche Stellungnahme des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz, NLWKN, die meine Bedenken weitgehend stützt. Wo leben wird eigentlich?).

Es geht also wieder einmal nur um die Windkraftinvestoren und deren Kapital, nicht um den Anlieger- und den gesetzlich gebotenen Artenschutz. Aus dem Desaster des „Schwarzbaus“ der Umgehungsstraße Bensersiel in diesem Vogelschutzgebiet hat man in Esens offensichtlich nichts dazugelernt. Falls sich ein Kläger gegen das verfehlte Repowering-Konzept in Utgast/Holtgast fände, würde es für die Gemeinde Holtgast, die SG Esens und den genehmigenden Landkreis Wittmund wieder sehr eng!

Email an Samtgemeindedirektor Harald Hinrichs, Esens:

18. Februar 2016

Bauausschusssitzung der SG Esens am 17. Februar 2016

Windenergie, Repowering-Konzept in der Samtgemeinde Esens

Sehr geehrter Herr Hinrichs,

mit Verwunderung nahm ich die heutige Berichterstattung im „Anzeiger für Harlingerland“ über die gestrige Bauausschusssitzung zur Kenntnis.

Ich zitiere: „Das Repoweringkonzept sehe vor, die Anlagenzahl im Verhältnis zwei zu eins zu reduzieren. Möglich sei das im Windpark Holtgast/Utgast, in dem eine Reduzierung von derzeit 53 Windenergieanlagen (WEA) auf maximal 42 vorgesehen ist…“ Nach meinen Kenntnissen der Mathematik kann das so nicht stimmen.

Der Landkreis Wittmund als immissionsschutzrechliche Genehmigungsbehörde geht von einer Gesamtanzahl von 39 Anlagen von derzeit 51 Anlagen in Utgast aus (Auszug ganz unten), wobei zu berücksichtigen ist, dass der ursprüngliche Windpark Utgast aus 49 Anlagen Tacke-TW-600 und (inzwischen abgebauten) AN-Bonus-Anlagen bestand, zu dem nachträglich noch zwei Enercon-70 hinzugenehmigt wurden. Beim vorgestellten Repowering-Konzept „ 2 zu 1“, also 1 neue Anlage für zwei abgebaute, komme ich nach Adam Riese im Windpark Utgast auf 25,5 Anlagen, aufgerundet als 26 Anlagen und nicht, wie heute der Presse zu entnehmen ist, nun gar auf 42 Anlagen. Die Nennleistung der alten Tacke-TW-600 beträgt 600 kW, die der Enercon-70 2,50 MW. Leistungsbezogen wäre hier rechnerisch 4:1 zu repowern, sodass lediglich 13 Anlagen übrig blieben, aber auch nicht „42“, wie jetzt bekannt wurde.

Ich erinnere an meine Stellungnahme für den mitwirkungsberechtigten Naturschutzverband „Deutsche Gebirgs- und Wandervereine“ vor dem Scoping-Termin zum Repowering-Konzepts der Samtgemeinde im Dezember 2015: „Repowering im Verhältnis 2:1 ist kein echtes Repowering, repowert werden sollte ausschließlich leistungsbezogen nach Nennleistung der Anlage, vereinfachtes Beispiel: Für eine neue WEA mit 3 MW Nennleistung sollte sechs Anlagen a 600 kW abgebaut werden. Das führt zu weniger Lärm für die Anwohner und zu einer deutlich geringeren Landschaftsbelastung.“

In meiner Ergänzung vom 07. Januar 2016 nach dem Scoping-Termin führte ich aus: „Vom anwesenden Inhaber des Planungsbüros ´Büro für Ökologie und Landschaftsplanung´ Bergmann wird das Repowering-Konzept für die Samtgemeinde Esens vorgestellt, in dem nun von 40+1 Anlagen in Utgast die Rede ist. Holtgasts Bürgermeister Enno Ihnen moniert die erwähnte Deckelung der Anlagenanzahl auf „40 + 1“. Auf die konkrete Frage des Unterzeichners [Manfred Knake], ob er denn noch mehr Anlagen in dieses Gebiet stellen wolle, was mit einem echten Repowering gar nichts zu tun habe, verweigert Ihnen die Antwort. Der Unterzeichner weist auf die schon jetzt hohe Lärmbelastung für die Anwohner hin, wobei die Lärmwerte nur auf dem Papier eingehalten würden. Der Unterzeichner weist noch einmal deutlich auf das eklatante Anlagen-Missverhältnis beim Repowering im Windpark Utgast/Gemeinde Holtgast hin, das nichts mit 1:2-Repowering zu tun habe.“

Es ist für mich nicht nachvollziehbar, dass der Holtgaster Ortsbürgermeister Enno Ihnen ständig neue Anlagenzahlen „nach oben“ vorträgt. Eine Abstimmung im Rat der Mitgliedsgemeinde Holtgast darüber erfolgte nach meiner Kenntnis gar nicht mehr; aktuell werden die Anlagen von Herrn Ihnen im „gemeindlichen Einvernehmen“ durchgewunken.

Es geht offensichtlich nur noch nach den Wünschen der Betreiber, die diese Windparkfläche direkt am EU-Vogelschutzgebiet V63 „Ostfriesische Seemarschen Norden-Esens“ mir der maximal möglichen Anlagenzahl mit einer Salamitaktik vollstellen wollen. Schon jetzt ist die Lärmbelastung für einige Anwohner unerträglich, die Lärmwerte stimmen nur auf dem Papier und werden zweifellos durch die nun nach oben „korrigierten“ zusätzlichen Anlagen weiter zunehmen. Ich frage mich daher, wessen Interessen Bürgermeister Ihnen eigentlich vertritt, die der Einwohner Holtgasts oder die der Betreiber? Herr Ihnen ist der Vorsitzende des Umweltausschusses der Samtgemeinde Esens, damit aber nach meiner Meinung völlig überfordert, weil er grundlegende Sachverhalte ignoriert.

Abschließend weise ich noch einmal nachdrücklich auf die Nähe der Enercon-70-Anlagen von nur 350-400 Metern zum angrenzenden EU-Vogelschutzgebiet hin. Alle naturschutzfachlichen Stellungnahmen, z.B. die „Arbeitshilfe Naturschutz und Windenergie“ des Niedersächsischen Landkreistages und das sog. „Helgoländer Papier“ der Landesarbeitsgemeinschaft der Staatlichen Vogelschutzwarten (LAG VSW) gehen von Abständen von 1.200 Metern zu Vogelschutzgebieten aus. Zudem liegt keine echte vorhabensbezogene Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG für die genehmigten Anlagen (auch nicht für die Altanlagen von 1995) vor, die faunistische Datenerfassung ist völlig unzureichend. Diese geringen Abstände werden von der Genehmigungsbehörde Landkreis Wittmund beharrlich ignoriert, obwohl der Landkreis und die Stadt Esens bereits mit der illegal im Vogelschutzgebiet gebauten Umgehungstrasse Bensersiel reichlich negative gerichtliche Erfahrungen machen mussten, für deren Auswirkungen der Steuerzahler haftet, nicht aber die Verursacher in den Räten oder Behörden. Ich weise ausdrücklich auf mehrere bestehende Verwaltungsgerichtsurteile hin, die die fachlich empfohlenen Abstände von Windkraftanlagen zu EU-Vogelschutzgebieten bestätigen. Der Landkreis Wittmund geht mit seinen Genehmigungen im Windpark Utgast auf ganz dünnem Eis! Ich bitte um zeitnahe Beantwortung dieses Schreibens, vor allem im Hinblick auf die Missachtung der fachlichen Vogelschutzvorgaben und auf die ständig wachsende Anlagenzahl im Windpark Utgast, die mit dem „2 zu 1“ Repowering nachvollziehbar nicht zu vereinbaren ist.

Eine Kopie dieses Schreibens erhalten das Umweltministerium in Hannover, die EU-Kommission, der Landkreis Wittmund sowie die Redaktion des Anzeigers für Harlingerland.

Freundliche Grüße

Manfred Knake

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Leserbrief an die Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ in Wittmund, 19. Februar 2016 (nicht abgedruckt):

Die erfolgreiche Bürgerbefragung in der Samtgemeinde Esens mit dem Ausgang, die bisherigen Flächen für die Windkraftnutzung festzuschreiben, ist sicher zu begrüßen. Das in der Presse vorgestellte Repoweringkonzept „2 zu 1“ (Kurier vom 19. Februar), also der Abbau von zwei Altanlagen für eine neue repowerte Anlage, ist allerdings ein schlechter Witz und eine Irreführung der Öffentlichkeit. Tatsächlich sollen in Utgast/Gemeine Holtgast/SG Esens von ursprünglich 49 alten Anlagen, die inzwischen zusammen mit einigen neuen Anlagen auf 53 Anlagen erweitert wurden, schließlich 42 Anlagen nach dem Repowern übrigbleiben. Das wird, ganz frei von Adam Riese, der Öffentlichkeit als „2 zu 1“ verkauft. Betroffene Anwohner beschweren sich durch die bereits neu errichteten, wesentlich höheren und leistungsstärkeren Anlagen des Auricher Anlagenbauers über die unerträgliche Lärmbelästigung der Rotoren, die nun noch zunehmen wird.

Der Bürgermeister von Holtgast weiß von der Lärmbelästigung, winkt aber die neuen Anlagen inzwischen ohne Ratsbeschluss mit dem „gemeindlichen Einvernehmen durch“, für wenige Betreiber. Zudem liegt der Windpark Utgast direkt am EU-Vogelschutzgebiet „Ostfriesische Seemarschen Norden-Esens“, das wiederum an den Nationalpark Wattenmeer grenzt. Naturschutzfachliche Arbeitshilfen, z.B. vom Niedersächsischen Landkreistag oder den Staatlichen Vogelschutzwarten der Länder, gehen wegen des Scheucheffekts und des Tötungsrisikos der Vögel von Windkraft-Abständen von 1.200 Metern zu Vogelschutzgebieten aus. Diese Abstandsempfehlungen wurden bereits in mehreren Verwaltungsgerichtsurteilen bei anderen Planungen in Deutschland bestätigt. Tatsächlich stehen die Windkraftanlagen nur ca. 300 Meter vom Schutzgebiet entfernt. Die gesetzlich vorgeschriebenen vorhabensbezogenen Datenerfassungen vor den Genehmigung wurden nicht im vorgeschriebenen Rahmen durchgeführt. Der Landkreis Wittmund genehmigt unverdrossen weiter. Naturschutzverbände wie BUND oder NABU schweigen dazu. Meine Fachaufsichtsbeschwerde gegen diese verfehlte Genehmigungspraxis beim Niedersächsischen Umweltministerium wurde nach neun Monaten Bearbeitungszeit mit einem Fünfzeiler abgebügelt: Man „sehe keine Möglichkeit, in der Angelegenheit fachaufsichtlich tätig zu werden“. In Esens wurde bereits eine Umgehungsstraße illegal in diesem Vogelschutzgebiet gebaut. Die enorm teuren finanziellen Folgen, die letztlich der Steuerzahler zu tragen hat, sind bekannt.

Manfred Knake

Holtgast

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