Holtgast, „berühmt“…

Windpark Utgast. Gemeinde Holtgast Foto (C): Insa Bock

In der Lokalzeitung „Anzeiger für Harlingerland“ aus Wittmund werden derzeit in lockerer Folge Orte aus dem Harlingerland vorgestellt. Den Anfang machte Holtgast Neu-Bürgermeister Gerhard Frerichs – auch freier Mitarbeiter der Zeitung- in einer Eloge auf den Ort mit dem Artikel vom 20. Januar 2017: „Lebendiger Tourismus und intaktes Landleben“ (Holtgast_20Jan2017_AZH). Nun ja, leblose Touristen verirren sich wohl kaum in den Ort. Und ob das Landleben tatsächlich noch „intakt“ ist, wie uns Bürgermeister Frerichs weismachen will, ist anzuzweifeln: Die Industrielandwirtschaft macht auch hier die Böden und Gewässer kaputt, es stinkt oft erbärmlich im Ort. Auf den maroden Zustand einiger Straßen im Ort durch überschwere landwirtschaftliche Fahrzeuge, die einige Straßen und Wirtschaftswege zerfahren haben, will ich hier nicht näher eingehen, und auch nicht auf die unnötige Eichen-Abholzaktion für das Neubaugebiet „Schoolpad“ im Mai 2015.

Und ob ständig neue Wohngebiete, die den Ort zunehmend zersiedeln, ein Gewinn für die Gemeinde sind, sei dahingestellt. In nicht allzu ferner Zukunft werden durch die „natürlichen Altersabgänge“ ohnehin viele ältere Häuser zum Verkauf stehen. Aber Kommunalpolitiker messen des Erfolg ihres Handelns eben oft daran, wie viele neue Baugebiete sie ausgewiesen haben.

Der Windpark Utgast

Berühmt“, so Gerhard Frerichs, sei Holtgast wegen seines Großwindparks Utgast geworden, so Frerichs. In der Tat, aber weniger „berühmt“ als „ berühmt-berüchtigt“. Als Holtgaster Bürger, der seit fast 40 Jahren in der Gemeinde wohnt, habe ich diese Merkwürdigkeiten bei der Entstehung des Windparks miterlebt, der heute für nicht wenige Anwohner wegen des Lärms zu einer täglichen und schlafraubenden Belastung geworden ist. Urlaubsgäste fragen dem Vernehmen nach schon vorher bei Vermietern an, ob Windkraftanlagen in der Nähe der die Unterkunft liegen.

Abgebaute Tacke TW-600, im Hintergrund eine repowerte Enercon-70, Foto (C): Manfred Knake

Um die „schönen“ Äußerungen des Bürgermeisters bei der Vorstellung „seiner“ Gemeinde nicht ins Reich des „Postfaktischen“ entschwinden zu lassen, hier noch mal die Eckpunkte der damaligen Windparkgenehmigung: Am 26. Mai 1994 unterzeichneten die „Germania Windpark GmbH“ aus Salzbergen mit ihrem Geschäftsführer Markus Tacke (Hersteller der jetzt abgängigen Tacke-Windkraftanlagen) mit der Gemeinde Holtgast eine „Vereinbarung“ (Utgast_Tacke_Vertrag_1994), in der es ums Geld ging: Zahlung von 500.000 DM gegen die „behördliche Genehmigung“ des Windparks mit zunächst 47 Anlagen. Ein Unterzeichner dieses Deals war der damalige stellvertretende Bürgermeister und heutige Bürgermeister Gerhard Frerichs. Das ist ein Kopplungsgeschäft mit einer Kommune und kann, wegen seiner Nähe zur Korruption, durchaus strafbar sein. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren aber ein, als dieser Geldbetrag in eine „Schenkung“ an die Gemeinde umgewandelt wurde. Die Architekten dieses erneuten Deals waren die damalige Bezirksregierung Weser-Ems und der damalige Oberkreisdirektor des Landkreises Wittmund, der die fragwürdige Vereinbarung so kommentierte: „Gut gedacht, schlecht gemacht“. Gezahlt hat Tacke dann nur ca. 350.000 DM.

Windpark Utgast, Blick von Osten, Foto (C): Manfred Knake

Die Planung des Windparks lief zunächst still und leise weiter an den Einwohnern vorbei, die sich schlecht informiert fühlten. Ca. 300 Unterschriften wurden 1994 von einer Bürgerinitiative gegen den Bau des Windpark gesammelt, vergeblich. Heute, mehr als zwanzig Jahre später, formiert sich wieder Protest wegen der neuen repowerten Anlagen, die sehr laut mit ihrem dumpfen unangenehmen Grollen kilometerweit zu hören sind.

1994: Protestplakat der BI-Utgast gegen die Landschaftszerstörung durch Windkraftanlagen für den Profit weniger Betreiber

1997 nannte Enercons Chef Alois Wobben den Konkurrenz-Windpark Utgast von Tacke „einen Skandal“ und einen „furchtbarer Eingriff in die Natur“ (Anzeiger für Harlingerland/Wittmund, 18. Februar 1997: „Enercon-Chef: Windpark Utgast ist ein Skandal“). Nach dem Repowering werden sich dort nur Enercon Anlagen drehen…

Utgast: tote Fledermaus unter Enercon-70-Windkraftanlage, Foto (C): Manfred Knake

Auch die Genehmigungspraxis des Landkreises ist angreifbar, da die neuen Anlagen auch direkt an einen EU-Vogelschutzgebiet ohne ausreichende Verträglichkeitsprüfung nach dem Bundesnaturschutzgesetz und EU-Recht errichtet wurden. Für jede abgebaute Altanlage erlischt die baurechtliche Genehmigung, für jede neue Anlage ist eine erneute Genehmigung zu erteilen, die mit den aktuellen immissionsschutzrechtlichen Vorgaben vereinbar sein muss. Dazu gehört auch das komplizierte nationale und europäische Artenschutzrecht, nur kann man das in der Öffentlichkeit kaum vermitteln, obwohl es der einzig wirksame Hebel bei einer Klage gegen den Windpark wäre. Der Landkreis ignoriert das und steht auf dem falschen Standpunkt, dass der (alte) Windpark schon vor dem Vogelschutzgebiet Bestand hatte. Auf die Gemeinde Holtgast, die Samtgemeinde Esens und den Landkreis kann also noch einiges hinzurollen. Die ganz in der Nähe illegal gebaute Umgehungsstraße Bensersiel im Vogelschutzgebiet lässt grüßen. Dort hatte eine Klage bis zum Bundesverwaltungsgericht Erfolg, im schlimmsten Falle muss die Straße zurückgebaut werden.

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Eine Antwort zu Holtgast, „berühmt“…

  1. Haiko Reuter sagt:

    Typisch für Ostfriesland, dass sich keiner traut, seine Meinung zu Äussern und es Stammesfürsten gibt, die lieber Ihre Friesische Freiheit leben, als sich in eine Hierarchie politischer und juristischer Entscheidungsprozesse einzuordnen.

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